Eine kleine Geschichte des Pinsels
Das vielleicht prominenteste Kunstwerkzeug der Menschheit: die Geschichte des
Pinsels. Die Kunst im Allgemeinen und der Pinsel im Besonderen haben eine sehr schöne Eigenschaft gemeinsam: beide sind so grundlegend für den Menschen, dass man nicht den oder die eine Erfinderin aufs Podest der Weltgeschichte heben kann.
Der Pinsel war eines der ersten Werkzeuge in der Kunst und vermutlich wurde er gleich mehrere Male an verschiedenen Orten auf der Welt erfunden. Ein klarer Fall von global verteilter Schwarmintelligenz.
Die ersten archäologisch nachweisbaren Funde des Pinsels führen uns nach Nord-Spanien. Genauer gesagt in die Höhle von Altamira in der Region Kantabrien. Um das 18. Jahrtausend v. Chr. steckten unsere Vorfahren dort viel Zeit und Mühe in beeindruckende Deckenmalereien von Wisenten, Hirschen, Pferden und Bisons. Man geht davon aus, dass die Malereien das Jagdglück beschwören sowie Jagdtechniken festhalten und Wissen vermitteln sollten. Die verwendete Ockerfarben wurde mit den wohl ersten Pinseln der Menschheitsgeschichte aufgetragen.
Aus Ästen oder Röhrenknochen wurde der Stiel geformt, um daran Federn oder Tierhaar zu befestigen.
Für den nächsten Entwicklungsschritt des Pinsels müssen wir der Menschheit eine Weile beim Jagen, Tüfteln, Siedeln, Beten und Kunst machen zusehen – genauer gesagt rund 15.000 Jahre.
Um 3.500 v. Chr. finden wir schließlich in China die erste Weiterentwicklung: Pinsel mit langen Tierhaaren für die Kalligrafie und Tuschezeichnungen. Auch im Mittelmeerraum ließ man sich nicht lumpen und um 3.000 v. Chr. nutzen die Ägypter Pinsel aus Papyrusfasern und Tierhaaren – vor allem um Vasen zu verzieren, aber auch für den, in ihrer Gesellschaft so zentralen, Todeskult.
In den darauf folgenden Jahrhunderten tritt die Kulturgeschichte des Pinsels in eine erneute Ruhephase ein. Weder im Römischen Reich noch in Griechenland oder den (vorder-) asiatischen Hochkulturen finden wir substanzielle Neuerungen. Immerhin sind die Römer die ersten, die gezielt ihre Privathäuser mit Wandfarben und Verzierungen verschönern und damit einen auch heute noch sehr beliebten innenarchitektonischen Trend in die Welt setzen.
Den nächsten Meilenstein finden wir interessanterweise im sogenannten „dunklen Zeitalter“ Europas – dem Frühmittelalter. Um das Jahr 900 verwenden Mönche für ihre Pinsel erste Stiele analog zu Federkielen und binden Borsten zusammen – das sorgte für deutlich mehr Stabilität. Damit schufen sie die Voraussetzung für ihre umfangreichen Buch- Decken- und Wandmalereien. Die zentrale Rolle der Mönche überrascht nicht, man geht davon aus, dass gerade die Klöster nach dem Untergang des weströmischen Reiches die Kultur in Europa über Jahrhunderte hinweg vor dem Verfall bewahrten.
Mit dem Wiederaufleben der Kultur im Hochmittelalter finden wir neben den Mönchen auch zunehmend freie Künstler, die ihre Pinsel selbst herstellten.
Im 15. Jahrhundert bekommt endlich eine der heute berühmtesten Maltechniken die ihr zustehende Ehre: Durch den niederländischen Maler Jan van Eyck wird die Ölmalerei populär.
Neue Anforderungen an die Materialeigenschaften der Pinsel werden gestellt. Bei der Ölmaltechnik kommt es vor allem darauf an, dass die Borsten des Pinsels möglichst viel Farbe aufnehmen und abgeben können. Schweineborsten erfüllen diese Anforderung am besten und werden unter Künstler:innen beliebt.
Erst im 18. Jahrhundert entsteht schließlich der Beruf des Pinselmachers, jedoch nahezu zeitgleich über ganz Europa hinweg. In Deutschland finden wir den ersten dokumentierten Pinselmacher 1764 in Augsburg.
Wenn Profis am Werk sind, dann geht es voran! Durch den Beruf des Pinselmachers, schreitet eine Vielzahl erstaunlicher Weiterentwicklungen des Pinsels, wie die Einführung des Rund- und des Flachpinsels, rasant voran.
Die Herstellung der Pinsel erfolgt zu dieser Zeit ausschließlich händisch. Man sammelte und ordnete zuerst die Tierhaare. Anschließend wurden sie (üblicherweise) vom Bäcker gesäubert und gekocht. Danach band er sie zu Bündeln zusammen trocknete sie im Ofen, wodurch sie ihre natürliche Sichelform nach und nach verloren und gerade „gerichtet“ wurden.
In dieser Zeit entwickelte sich auch ab dem 18. Jahrhundert in Bechthofen Mittelfranken ein deutscher Ort zum Epizentrum der europäischen Pinselmacher. Heute finden wir dort die einzige Berufsschule für Pinselmacher und ein internationales Museum zur Geschichte des Pinsels.
Parallel zur Weiterentwicklung der Mal- und Kalligraphietechniken wird auch die Pinselanfertigungen vielfältig ausgebaut und spezialisiert. Ab 1885 stehen die ersten Maschinenzur industriellen Fertigung von Pinseln und Bürsten zur Verfügung. Dadurch können Pinsel mit konstanter Qualität in hoher Stückzahl gefertigt werden.
Trotz der industriellen Perfektionierung der Pinsel, hatten viele berühmte Maler einen (zu) hohen Anspruch an die Qualität ihrer Pinsel. Der niederländische Maler Vincent van Gogh soll beispielsweise seine Pinsel regelmäßig abgeschleckt haben, damit sie spitzer sind. Man vermutet, dass ihm diese Angewohnheit zum Verhängnis wurde. Ölfarben wurden zu dieser Zeit noch mit giftigem Blei angereichert, was bei van Gogh zu einer Bleivergiftung führte und folgend seine berühmten psychischen Probleme noch einmal erheblich verschärft haben soll.
Heute werden für Pinsel sowohl Tierhaar- also auch Synthetik-Fäden verwendet. Die edelsten Pinsel-Echthaare weltweit bestehen dabei aus dem Rotmader-Haar, genauer gesagt aus dem Schweif des sibirischen Kolinsky-Maders.
Abseits der Kunst hat der Pinsel mittlerweile Konkurrenz von Farbrollern und Spritzgeräten bekommen. Im Kunsthandwerk wird er seine herausragende Bedeutung aber sicher behalten – nur mit ihm ist die feinste Bearbeitung kleinster Details möglich.
Die wohl größte Liebe und Hingabe zum Pinsel zeigte wohl Auguste Renoir – man sagt ihm die sicherlich unerschütterlichste Beziehung zum Pinsel nach. Renoir zwang sich im Alter, trotz erheblicher körperlicher Leiden, weiter zu malen. Dafür ließ er sich unter anderem in den letzten Jahren seines Lebens seinen Pinsel an die Hände festbinden.
In diesem Sinne freuen wir uns, mit Euch die ersten / nächsten Schritte auf dem Weg zur lebenslangen Pinselliebe zu gehen. In unseren Acrylmalen Workshops bekommt ihr Einblicke in die Technik sowie Tipps und Tricks für Einsteiger bis Fortgeschrittene Wir freuen uns auf Euch!
Zwei Buchempfehlungen für all diejenigen, die sich tiefer in die Materie versenken wollen:
1. Silke Vry & Hans Baltzer – „Mit Pinsel und Palette: Große Maler und ihr Werk“: wir sitzen 20
Künstlern auf den Schultern, wenn sie einige der berühmtesten Gemälde der Weltgeschichte
erschaffen. Das Schönste daran – das Buch ist bereits für Jugendliche ab 10 Jahren geeignet!
2. James Gurney – „Color and Light: A Guide for the Realist Painter”: Standard-Werk,
Grundlagenbuch, Must-Read zur Einführung in die Malerei – das liest man weltweit über dieses
Buch. Mehr kann man dem auf drei Zeilen auch nicht hinzufügen.
Quellen:
– Grove Art Online (Oxford University Press)
– Victoria Finlay: Color. A Natural History of the Palette
– Deutsches Pinsel- und Bürstenmuseum Bechhofen
– British Museum / Metropolitan Museum of Art – Sammlungsdokumentationen
– Encyclopaedia Britannica – Einträge zu „Brush“, „Painting“, „Altamira“, „Calligraphy (China)“
– Fachliteratur zur Kunstgeschichte (u. a. Belting, Gombrich)